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Untergang

aus Kurzgeschichte

Es brach über sie herein wie ein Gewitter ohne Wolken, wie Lava, das aus einem Berg platzt, wie das Meer, das plötzlich ins Land fliesst und alles zudeckt, bis nichts mehr da ist. Es begann mit einem blauen Himmel, ein paar Vögel zwitscherten, so wie meist, im Frühling. Da schaute der Rübenbauer dem Kohlbauer über den Zaun und betrachtete dessen riesigen, fetten Kohle, die aus dem Boden quollen. Der Kohlbauer kam aus dem Haus, er trug ein altes, abgewetztes Hemd, unter dem ein Stückchen seines weichen weissen Bauches hervorschaute. Er rieb sich über die Glatze um sich aufzuwecken, denn es war Morgen. Dem Rübenbauer gefiel das nicht. Er sass auf der Holzbank vor seinem Steinhaus, trank eine bittere Kräutermischung (die er jeden Morgen trank, damit er mindestens 205 Jahre alt würde), und rümpfte die Nase. Da steht der, mitten zwischen seinen riesigen Kohlköpfen, und sieht doch selber aus wie einer, dachte der Rübenbauer und spuckte verächtlich auf den Boden. 

Auch in den anderen Häusern begannen die Menschen einander eigenartige Blicke zuzuwerfen. Eine Frau verspürte plötzlich das Verlangen, ihrer Nachbarin die mühselig von Hand gewaschene Wäsche herunterzureissen und in den Schweineauslauf zu werfen. Was sie nicht wusste, war dass ebendiese aus dem Fenster auf die heissgeliebte Katze der Nachbarin schaute und Lust hatte, die Katze in den Bergbach zu werfen, dort, wo er über die Felsen ins Tal stürzt. Der Kuhhirt schritt mit einer Kuh am Strick die Strasse hinunter und erblickte ein Mädchen, das er bis am vorherigen Tag furchtbar schön gefunden hatte. Heiraten hatte er sie wollen. Jetzt schaute er sie an, wie sie mit kleinen Füsschen herumtrippelte, und verspürte einen Anflug von Abscheu, der immer stärker wurde, mit jedem Schritt, da er sich ihr näherte. Als er an ihr vorbeiging, starrte er sie nur mit stummem Blick an. Er hätte sie gerne an die Leine genommen, wie die Kuh, irgendwo angebunden und ein wenig getreten, bis sie weinte. Das Mädchen schaute ihn ebenfalls an, und obwohl sie ihn bis gestern noch recht ansprechend gefunden hatte, ärgerte sie jetzt sein nach vorne geneigter Körper, der ihm ein bedächtiges Aussehen verlieh, und sie hatte Lust, ihn verängstigt zu sehen. Das Gletschermonster sollte ihn holen, murmelte sie vor sich hin und stellte sich vor, wie er mit weit aufgerissenen Augen den Berg hinunterrannte, während er vom ewigen Eis mit den grünen Augen gejagt wurde. 

Auch die Kinder spürten es. Da bohrte der kleine Bruder der grossen Schwester ganz heimtückisch seinen Fingernagel in den Arm, bis diese laut aufschrie. Die Tat erfüllte ihn mit einer grausigen Genugtuung, denn seit er an diesem Tag aufgewacht war, ärgerten ihn ihre langen, blonden Locken, die sie jeden Tag kämmte, und er begann einen Plan zu schmieden, wie er sie anzünden könnte. Die Schwester schaute auf die Mutter und fand deren Anblick 

mit einem Mal völlig unerträglich. Aus dem Haus jagen wollte sie die Mutter, und die Tür zu sperren, so dass diese im Ziegenstall schlafen musste, wo die Tiere nachts über die Schlafende drüberklettern würden. 

Es hatte alles in der Nacht begonnen. Der Korbflechter hatte vom Hass geträumt, und als er am Morgen aufwachte, versäumte er es sich mit dem Wasser zu waschen, das er abends immer vom Brunnen holte. Bis zu diesem Tag hatte niemals einen Schritt aus seiner Kammer getan, ohne dass er sich von dem Wasser ins Gesicht spritzte und es danach hinter dem Haus auf den Boden leerte. So waren bis auf diesen Tag alle seine Träume im Boden versickert. An diesem Morgen aber hatte er es nicht getan, darum blieb der Hass seines Traumes an ihm haften wie Blütenstaub und der Wind trug es in jeden Winkel des Ortes. Er selbst wusste genauso wenig über die Folgenschwere seines Nicht-waschens, wie er sich an seine Träume erinnern konnte. So schaute auch er hilflos und grimmig in die Welt hinaus und trachtete danach, der Heilerin, die soeben mit frischen Kräutern den Berg hinabkam, ein Bein zu stellen. 

Was die Menschen nicht bemerkten, war, dass sich auch ihr Körper zu verändern begann. Ihre Augen wurden schmal und ihre Stirn runzlig, so als müssten sie ohne Unterbruch über etwas furchtbar Kompliziertes nachdenken. Sie stierten in der Gegend herum und hörten die Vögel gar nicht mehr, weil sie nur noch darüber nachdachten, wen man in eine Grube werfen oder wessen Haare man anzünden könnte. 

Anfangs dachten sie, dass der Mond in jener Nacht vielleicht den falschen Platz am Himmel erwischt hatte, oder dass mit dem Morgentau irgendeine sonderbare Stimmung auf die Wiesen gefallen war. Aber nach wenigen Tagen vergassen sie, wie das Leben gewesen war, bevor der Hass sich im Dorf verstreut hatte und dachten nur noch darüber nach, wie sie ihre missgünstigen Sehnsüchte verwirklichen konnten. So pflügten sie halbherzig ihre Acker, grübelten motivationslos in ihren Gärten, und schaufelten ohne Lust den Mist aus den Ställen, immer nach den anderen Menschen schielend, die sich in der Nähe befanden. Kurz darauf kochten sie nicht mehr, assen nur noch die Blätter von den Bäumen und Knollen, die sie aus der Erde rissen. Sie hörten auf sich zu waschen und begannen mit glänzenden Äuglein Spiesse zu schnitzen. Dieses unerträgliche Glimmen in ihrer Brust, das ihre Gesichter verformte und sie schnell und flach atmen liess, musste aufhören. Die Glut musste auflodern und brennen, bis das Feuer ausgebrannt war und man barfuss über die weiche Asche laufen konnte. Geschrei soll es geben, Leiden und Jammern, bis endlich alle, die so unendlich erbärmlich waren, vernichtet waren, weggepackt, begraben, ausgelöscht. 

Genau sechs Tage nach dem entwischten Traum des Korbflechters, schlug der Rübenbauer dem Kohlbauer mit der Schaufel auf den Hinterkopf. Der Kohlbauer hatte sich gebückt um 

etwas vom Boden aufzuheben, und in diesem Augenblick war der Rübenbauer von seinem Gefühl übermannt worden. Er musste weg, dieser Kohlbauer, dieser gigantische dicke Schwächling, fort, verschwinden, zuerst schreien und dann totsein. Zum Leidwesen des Rübenbauers schrie der Kohlbauer nicht, er fiel einfach tot um, mit dem Gesicht auf die Strasse. Aber mit der ersten Mordtat hatte sich ein Tor geöffnet, und der Tod floss vom Berg hinunter ins Dorf. Bald rannten sie aus ihren Häusern und dunklen Ecken, mit Spiessen und Gabeln und Stöcken, um sich gegenseitig schreien zu hören und Leiden zu lassen. Aber niemand rannte weg, niemand versteckte sich, niemand litt, weil der Hass sie blind und wahnsinnig gemacht hatte und sie nur danach trachteten, den andern zu vernichten, während sie selbst vernichtet wurden. Die Frau ertränkte ihre Nachbarin mit der sauberen Wäsche, und die blondlockige Schwester rannte mit brennenden Haaren durch das Dorf, um ihre Freundin in den Wald zu jagen, damit sie von den Wölfen gefressen würde. Die Unglückliche verbrannte, bevor sie das Haus der Freundin erreichte. Die Freundin wurde währenddessen vom Kesselflicker vom Dach hinunter gestossen. So kam das Ungeheuer über sie wie ein Gewitter, es packte und schüttelte die Menschen, machte sie alle wahnsinnig gewordenen Raubtieren gleich, und vernichtete sie, bis alle weg waren, erdrückt, erstickt, zermalmt und ausgelöscht. Der Kuhhirt war der Letzte, der übrig blieb. Er schleppte sich mit seinen Verletzungen noch einige Schritte auf der Strasse entlang, um zu sehen, ob er nicht vielleicht noch jemand Lebendes erspähen konnte, den er mit seiner Mistgabel stechen konnte, aber da war niemand mehr. Und so genügte er sich damit, ein paar Leichen zu beschimpfen und verblutete auf offener Strasse. 

Ein Reisender fand das Dorf einige Tage später. Er sagte, dass selbst die Blätter von den Bäumen gefallen seien und alle Blumen im Umkreis von zehn Kilometern verwelkt. Kein Lebewesen hatte sich mehr gezeigt, nicht einmal der Ruf eines Vogels in weiter Ferne. Das einzig Lebende war die Schüssel Wasser, die der Korbflechter seit jenem Morgen nicht mehr angerührt hatte und noch immer auf dem Sims in seiner Kammer stand.

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