fbpx

Der Dealer

aus Portraet

In DAS MAGAZIN des Tages Anzeiger, 21. März 2014

Ich habe keine Rituale. An einem Tag gehe ich raus, am anderen bleibe ich liegen. An einem Tag rauche ich eine, am anderen denke ich, ab heute rauche ich nie wieder. Das Einzige, was stets gleich bleibt, ist, dass ich aufs Klo muss, weil ich am Abend vorher so viel gesoffen habe. Denn wenn man kokst, kann man viel mehr Alkohol trinken.

Im Schnitt arbeite ich zehn Stunden am Tag und schlafe nur etwa vier Stunden. Wenn ich dann aufstehe und mit der S-Bahn zur Arbeit fahre, schäme ich mich.

Weil sich in der Nacht zuvor einmal mehr dasselbe Spiel wiederholt hat: Ich komme nach Hause, bin todmüde, weil ich auch die Nacht vorher kaum geschlafen habe, und denke: Kann doch nicht sein, dass das schon der Tag war. Jetzt schaust du dir noch eine Doku im Fernsehen an. Dabei fallen mir die Augen zu, also sage ich mir: Jetzt ziehst du noch eine schöne Line und schaust die Doku zu Ende.

Aber das hat noch nie geklappt. Es gibt immer noch eine zweite und dritte Line. Dann denke ich, auf den Hunderter mehr oder weniger kommts jetzt auch nicht mehr an.

An den Tagen, die darauf folgen, ziehe ich mich bewusst gut an: schick- es Hemd, gepflegte Haare —das macht vieles wett. Man kann nicht mit kurzen Hosen und T-Shirt herumlaufen, wenn man nach Alkohol stinkt und Augen hat wie ein toter Fisch. Wenn ich in der Arbeit ankomme, sage ich meist gleich allen hallo. Dabei weiss ich genau, wer merkt, was ich

in der Nacht vorher gemacht habe, und wer nicht. Ich verachte die, die es merken, aber nichts sagen. Aber wenn sie was sagen würden, wäre es auch falsch.

Ich leite ein nobles Restaurant am Zürichsee, und ich bin überzeugt davon, gut in meinem Job zu sein, sein. Weil ich begriffen habe, was Men- schen brauchen. Es geht nämlich nicht darum, was sie wollen, sondern was sie brauchen. Ich weiss, an welchem Tisch zum Beispiel ein Pärchen sitzt, das nur im Aperitif rührt und den Abend einfach nicht herumbringt. Die sind dir dafür dankbar, wenn du alle drei Minuten vorbeikommst und sie vollquatschst. Mit dem Koksdealen ist das ähnlich, jedenfalls bei mir: Ich liefere das Zeug nicht bloss ab, ich plaudere noch eine Stunde.

Als Dealer schaue ich heute in viele Leben rein; die Leute freuen sich extrem darüber, wenn ich zu ihnen komme. «Endlich bist du da», sagen sie. Ich kann dazu arrogant sein und Scheisse tun, und sie laufen mir trot- zdem hinterher. Zum Beispiel wenn mich einer anruft und ich genau weiss ich habe die Macht über sein Glück: «Weisst du was, ich unterhalte mich gerade, ruf mich in einer Stunde wieder an», sage ich, einfach weil ich keinen Bock hab. Das ist ein beschissenes kleines Kinderspiel. Aber, ganz ehrlich, es ist geil.

Ich bin jetzt 35 und ich hätte auch gern so etwas wie Stabilität. Eine Konstante. Es gibt ja Männer, die trinken jeden Morgen erst ihren Kaffee, und dann gehen sie sich als Frau verkleiden oder zur Arbeit in die Bank, je nachdem — aber wenigstens trinken sie jeden Morgen ihren Kaffee. Ich habe nichts, gar nichts Konstantes. Ausser Koksen.

    Leave a Reply

    Your email address will not be published. Required fields are marked *